Nachdem die Dritte Fortschreibung der Richtlinien zur Feststellung des Hirntodes aus dem Jahr 1997 datiert, erscheint nun die Vierte Fortschreibung der „Richtlinie gemäß § 16 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 TPG für die Regeln zur Feststellung des Todes nach § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 TPG und die Verfahrensregeln zur Feststellung des endgültigen, nicht behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 TPG“. Sie wird im Juli 2015 im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht und ersetzt damit die bisher gültige Richtlinie zur Hirntodfeststellung. Die Richtlinie ist nicht auf den Fall der Organ- oder Gewebespende beschränkt, sondern gilt für jede Feststellung eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls.
Den Begriff „Hirntod“ gibt es nicht mehr. Die erste wesentliche Neuerung ist, dass die Vierte Fortschreibung nicht mehr von Hirntod sondern stets von einem irreversiblen Hirnfunktionsausfall spricht.
Wer darf den irreversiblen Hirnfunktionsausfall diagnostizieren? Die neue Richtlinie stellt strenge Anforderungen an die Qualifikation und Unabhängigkeit der Ärzte, die den irreversiblen Hirnfunktionsausfall feststellen.
Die Erfüllung der Voraussetzungen, das Vorliegen der klinischen Ausfallsymptome und der Nachweis der Irreversibilität müssen von (mindestens) zwei dafür qualifizierten Ärzten unabhängig voneinander und übereinstimmend festgestellt und dokumentiert werden. Beide Ärzte müssen Fachärzte sein und über eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit akuten schweren Hirnschädigungen verfügen. Sie müssen die Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzen, um die Indikation zur Diagnostik des irreversiblen Hirnausfalls zu prüfen, die klinischen Untersuchungen durchzuführen und die Ergebnisse der angewandten apparativen Zusatzdiagnostik beurteilen zu können. Was dies insbesondere beinhaltet, ist in der Richtlinie konkret aufgeführt. Mindestens einer der feststellenden Ärzte muss ein Facharzt für Neurologie oder Neurochirurgie mit mehrjähriger Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit akuten schweren Hirnschädigungen sein. Geht es um die Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls bei einem Kind bis zum vollendeten 14. Lebensjahr, fordert die Richtlinie zusätzlich einen Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit der oben geforderten mehrjährigen Erfahrung. Im Rahmen ergänzender (apparativer) Zusatzuntersuchungen werden weitere besondere Qualifikationsanforderungen gestellt. So darf beispielsweise die CTA-Untersuchung zur Feststellung eines zerebralen Zirkulationsstillstandes nur von einem Facharzt für Radiologie mit mehrjähriger Erfahrung in der neuroradialen Diagnostik kontrolliert und beurteilt werden. Die an der Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls beteiligten Ärzte dürfen im Falle einer Organ- oder Gewebespende weder an der Entnahme noch an der Übertragung der Organe oder Gewebe beteiligt sein. Sie dürfen auch nicht den Weisungen eines Arztes unterstehen, der an den Untersuchungen zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls beteiligt ist.
Verfahren der Feststellung eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls Der irreversible Hirnfunktionsausfall wird in einem dreistufigen Verfahren festgestellt, das in Bild und Text ausführlich erklärt wird. Danach ist zunächst der Nachweis zu erbringen, dass eine akute schwere primäre oder sekundäre Hirnschädigung vorliegt, die nicht auf reversiblen Ursachen beruht. In einem zweiten Schritt erfolgt eine Prüfung aller klinischen Ausfallsymptome, deren Irreversibilität in einem dritten Schritt mittels klinischer Verlaufsuntersuchungen nach vorgesehenen Wartezeiten bestätigt werden muss. Die Voraussetzungen der Feststellung, die klinischen Ausfallsymptome und die Anforderungen an den Nachweis der Irreversibilität beschreibt die Richtlinie detailliert. Sie gibt Protokollbögen vor und legt klare Regelungen für die Dokumentation des Verfahrens und Aufbewahrung der Unterlagen fest. In einem Punkt, der mit „Spezielle Anmerkungen“ überschrieben ist, finden sich umfangreiche Erklärungen im Zusammenhang mit dem Verfahren zur Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls, unter anderen:
- Begriffsdefinitionen,
- Hinweise auf den Umgang mit Patienten, denen zentral dämpfende Medikamente verabreicht wurden,
- Vorgaben in Bezug auf die Untersuchung von Komapatienten und Patienten mit einer Hirnstamm-Areflexie,
- wie ein Atemstillstand zu prüfen und was dabei zu beachten ist (Apnoe-Test),
- Wertigkeit der Methoden zum Nachweis der Irreversibilität,
- Besonderheiten bei Kindern bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr,
- Vorgaben für die EEG-, SEP- und FAEP-Ableitung,
- der Nachweis des Zerebralen Zirkulationsstillstandes und seine Besonderheiten.
Neu aufgenommen wurde außerdem, dass jede Einrichtung, in deren Auftrag die den irreversiblen Hirnfunktionsausfall feststellenden Ärzte tätig werden, in einer Arbeitsanweisung (SOP) festzulegen hat, wann und wie die Diagnostik veranlasst wird.
Zusammengefasst schreibt die neue Richtlinie die bisher bestehenden medizinischen Standards in der Feststellung eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls fort. Sie geht deutlich weiter bei der Beschreibung des Verfahrens und der speziellen Untersuchungsmethoden sowie der klinischen Besonderheiten in praxisrelevanten Einzelfällen. Im Unterschied zu den bisherigen Fortschreibungen setzt die neue Richtlinie ein hohes Niveau für die Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls indem die Anforderungen an die Qualifikation der feststellenden Ärzte ebenso hoch sind wie die an ihre Unabhängigkeit. Ziel ist es, das durch negative Presseberichte in den vergangenen Jahren gesunkene Vertrauen der Bevölkerung in das Verfahren zur Feststellung eines irreversiblen Hirnfunktionsausfalls wieder zu etablieren und der Pflicht gerecht zu werden, das Leben, die Gesundheit und die Würde des Menschen auch im Sterben zu schützen und zu achten.
Mit ihrer Veröffentlichung im Deutschen Ärzteblatt 07/2015 tritt die Vierte Fortschreibung der Richtlinie in Kraft.