Verhandlungsunfähigkeit

Die ärztlich attestierte Verhandlungsunfähigkeit

Wer aus Krankheitsgründen an einem Gerichtstermin nicht teilnehmen kann– egal ob als Partei, Zeuge oder Angeklagter –, benötigt ein ärztliches Attest, um die krankheitsbedingte Verhandlungsunfähigkeit nachzuweisen. Andernfalls drohen in allen gerichtlichen Verfahren rechtliche Nachteile, die – je nach Rolle im Verfahren – von der Anordnung eines Zwangsgeldes bis zur Verurteilung in Abwesenheit reichen können.

Oft wird dem Patienten in diesen Fällen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem Hinweis ausgestellt, er sei verhandlungsunfähig. Dies ist jedoch nicht ausreichend. Das hat das Saarländische Oberlandesgericht in seiner Entscheidung vom 22. Januar 2007 (Az.: 5 W 8/07-4) deutlich gemacht und darauf hingewiesen, dass die ärztlich bestätigte Arbeitsunfähigkeit zur Vorlage beim Arbeitgeber bestimmt ist und nichts über die Zumutbarkeit des Erscheinens bei Gericht besagt.

Aber auch ein Attest, in dem mitgeteilt wird, dass der Patient krankheitsbedingt verhandlungsunfähig“ ist, genügt nach der Entscheidung des Berliner Kammergerichtes vom 6. Februar 2007 (Az.: 2 Ws 99/07) nicht, um die Abwesenheit ausreichend zu entschuldigen. Konkret führt es hierzu aus:

„Denn eine Erkrankung entschuldigt nur, wenn sie nach ihrer Art und ihren Auswirkungen, insbesondere nach dem Umfang der von ihr ausgehenden körperlichen und geistigen Beeinträchtigung eine Beteiligung an einer Hauptverhandlung unzumutbar macht. Die diesbezüglichen Angaben sind in dem Attest aufzunehmen, da der Senat ohne konkrete Angaben nicht feststellen kann, ob dem Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung ein objektives Hindernis entgegenstand. […] Dass der Arzt Verhandlungsunfähigkeit diagnostizierte, ist bedeutungslos, denn dies ist entgegen der Auffassung der Beschwerde ein Rechtsbegriff, unter den allein das Gericht und nicht der Arzt die von Letzterem festgestellten medizinischen Tatsachen subsumieren kann.“

Zu berücksichtigen ist somit stets, dass nicht der Arzt, sondern das Gericht anhand des Attestes entscheidet, ob die betreffende Person in der Lage ist, den Gerichtstermin wahrzunehmen. Demzufolge muss aus dem Attest hervorgehen,

  • dass es zur Vorlage bei Gericht bestimmt ist,
  • aus welchem Grund der Patient ggf. verhandlungsunfähig ist (Art der Erkrankung und deren Auswirkungen)
  • und wie lange die etwaige Verhandlungsunfähigkeit voraussichtlich bestehen wird.

 

Was ist mit der ärztlichen Schweigepflicht bei Rückfragen des Gerichts?

Doch was, wenn das Gericht noch Rückfragen hat und diesbezüglich beim Arzt anruft? Darf der Arzt dann die Fragen beantworten oder gilt in diesem Fall die ärztliche Schweigepflicht?

Nach herrschender Meinung in Literatur und Rechtsprechung liegt in der Vorlage des ärztlichen Attestes bei Gericht eine konkludente Entbindung des ausstellenden Arztes von der ärztlichen Schweigepflicht. Das Oberlandesgericht Frankfurt hat dies in seiner Entscheidung vom 19. Mai 2005 (Az. 3 Ws 405/05) näher dargelegt und ausgeführt, dass von dem Vorliegen einer konkludenten Einwilligung u. a. auszugehen ist, wenn die Inanspruchnahme des Schweigepflichtigen durch den Geschützten speziell im Hinblick auf die von einem Dritten – hier dem Gericht – abverlangten Informationen erfolgt. Gleiches gelte, wenn dem Betroffenen an der Geheimhaltung der fraglichen Tatsachen nichts liegt, weil er an ihrer Verwertung durch Dritte – hier durch das Gericht – geradezu ein Interesse hat. Die ergänzende Auskunft des Arztes beruhe darauf, dass der Patient sich von ihm gerade zur Erstellung des Attestes hat untersuchen lassen und die Inanspruchnahme des Arztes dazu erfolgt, um die Obliegenheit des Patienten zu erfüllen, seine krankheitsbedingte Verhinderung gegenüber dem Gericht glaubhaft zu machen. Ferner liege die Verwertung solcher ergänzenden Auskünfte auch grundsätzlich im Interesse des Patienten. Mit der Vorlage des Attestes habe der Patient damit konkludent auch in die Einholung von ergänzenden Auskünften eingewilligt, jedenfalls soweit diese zur Beurteilung der Frage der krankheitsbedingten Verhinderung von Relevanz sind. Er habe die Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht also nicht etwa auf den reinen Inhalt des Attestes beschränkt. Überdies sei anerkannt, dass die Benennung des Schweigepflichtigen als Zeugen als Entbindung von der Schweigepflicht zu werten ist.

Da derartige Nachfragen letztlich auch zu gerichtlichen Entscheidungen führen können, die zum Nachteil des Patienten getroffen werden, wird zur Vermeidung einer diesbezüglichen Konfliktlage empfohlen, sich bei Ausstellung solcher Atteste ausdrücklich für weitere Nachfragen des Gerichtes schriftlich von der ärztlichen Schweigepflicht entbinden zu lassen.